25. Ist Jesus Jahwe?

Die meisten Christen glauben, dass Jesus GOTT war und ist. Eine Art biblischen Beweises, den einige von ihnen zur Unterstützung ihrer Meinung anführen, ist die angebliche Identifikation von Jesus als Jahwe, was der Name GOTTES ist. Einige der für sie wichtigsten Zitate stehen im Johannesevangelium. Das Johannesevangelium ist insofern einzigartig, als dass in ihm verschiedene Aussagen Jesu wiedergegeben sind, in denen er gesagt hat: „Ich bin (es).“ Oft hat er noch ein Prädikat dazu geliefert, manchmal aber auch nicht, was dann einige Unklarheiten hinterlassen hat.

Einmal hat Jesus gesagt: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8, 12). Seine Gegner haben dem widersprochen, worauf er ihnen geantwortet hat: „Wenn ihr nicht glauben werdet, dass ich (es) bin, so werdet ihr in euren Sünden sterben.“ Sie haben ihn dann gefragt: „Wer bist du?“ Und Jesus hat zu ihnen gesagt: „Durchaus das, was ich auch zu euch rede.“ (Joh 8, 24-25). Er hat damit gesagt, dass er der Sohn des Menschen ist (Joh 3, 13-14). (In manchen englisch-sprachigen Übersetzungen heißt es: „Wenn ihr nicht glaubt, dass ich Er bin, ...“ wobei das „Er“ im griechischen Text aber nicht vorhanden ist).

Einige Traditionalisten (das sind die Menschen, die glauben, dass Jesus GOTT war und ist) behaupten, dass Jesus mit den „Ich bin“-Aussagen ohne Prädikat, speziell mit denen in Johannes 8, wegen der wunderbaren, im Alten Testament berichteten, Ereignisse im Zusammenhang mit dem brennenden Dornbusch, indirekt den Anspruch erhoben hätte, Jahwe zu sein. Der Engel des HERRN [Jahwes Engel] ist Mose in einem brennenden Dornbusch erschienen, der jedoch nicht verbrannt ist, und hat zu Mose im Namen Jahwes gesprochen. GOTT hat durch den Engel zu Mose gesagt, dass ER ihn gebrauchen will, um die Israeliten aus der Gefangenschaft Ägyptens zu befreien und sie ins verheißene Land zu führen (2. Mo 3, 1-10). Mose hat gefragt, was er den Israeliten antworten soll, wenn sie fragen würden: „Was ist Sein Name?“ GOTT hat ihm folgende Antwort gegeben: „ICH BIN, DER ICH BIN.“ Dann hat ER ergänzt: „So sollst du zu den Söhnen Israel sagen: Der ‚ICH BIN‘ hat mich zu euch gesandt“ (V. 14). Dieses „ICH BIN“ ist die Übersetzung des hebräischen Wortes „ehyeh“, was „Der aus sich selbst Existierende“ bedeutet.

Der Jesus, den uns Johannes in seinem Evangelium vorgestellt hat, hat sich niemals unausgesprochen als der „ICH BIN“, der aus sich selbst Existierende, identifiziert, weil er genau das Gegenteil über sich gesagt hat (Joh 5, 19 u. 30). Er hat auf seine Unvollkommenheit hingewiesen, wenn er in Joh 8, 28 spricht: „Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und dass ich nichts von mir selbst tue, sondern wie der Vater mich gelehrt hat, das rede ich.“ Jesus hat also offen bekannt, dass er in allem – in seinen Worten und Werken - von seinem Vater abhängig ist. Und er hat klargestellt, was er mit den Worten „Ich bin (es)“ gemeint hat: „Ich bin der Sohn des Menschen“.

Viele von der Tradition geprägte Theologen haben diese von ihnen von 2. Mose 3 her interpretierten „Ich bin“-Aussagen Jesu in Johannes 8 auch mit den vier „ICH bin“-Aussagen Jahwes in Jesaja 41, 4; 43, 10 u. 13; 48, 12 vertauscht. Hier hat Jahwe erklärt, dass ER der alleinige GOTT ist, wenn ER sagt: „ICH bin (es)“. Die drei „Ich bin“-Aussagen Jesu ohne Prädikat in Joh 8, 24, 28 u. 58 als den unausgesprochenen Anspruch, Jahwe zu sein, zu interpretieren, ist höchst willkürlich. Andere trinitarisch eingestellte Theologen haben diese Interpretation abgelehnt. So zum Beispiel Johannes Calvin, der in Bezug auf Vers 24 gesagt hat: „Einige der alten Autoren haben aus diesem Abschnitt die Gottheit Christi abgeleitet; das ist aber ein Fehler.“ Nebenbei bemerkt, - wenn die Gegner Jesu gedacht hätten, dass er sich damit als Jahwe bekanntmachen will, dann hätten sie das als Gotteslästerung angesehen und sich gleich nach den Steinen gebückt, um ihn zu steinigen.

Das Schlimmste an diesen 2.Mo 3, 14/Jesaja-Interpretationen der „Ich bin“-Aussagen Jesu in Johannes 8 ist, dass durch sie Jesus so darstellt wird, als hätte er zu den Menschen gesagt, dass alle, die nicht glauben, dass er Jahwe ist, in ihren Sünden sterben müssen und nicht gerettet werden können.

Einige der anderen „Ich bin“-Aussagen Jesu zeigen, dass er sich eindeutig nicht als Jahwe bekanntgemacht hat und sie legen daher nahe, dass er das auch in Johannes 8 nicht gemacht hat. So berichtet Markus zum Beispiel, dass Jesus gesagt hat: „Viele werden unter meinem Namen kommen und sagen: ‚Ich bin's!‘ Und sie werden viele verführen“ (Mark 13, 6). Während es im Markus- und Lukasevangelium heißt: „Ich bin es“ [ego eimi; d. Ü.], schreibt Matthäus: „Ich bin der Christus“ (Matth 24, 5). Man muss daraus schließen, dass auch diese „Ich bin“–Aussagen ohne Prädikat nicht bedeuten, dass Jesus Jahwe gewesen ist. Rudolf Bultmann sagt über die „Ich bin“–Aussagen Jesu in Joh 8, 24 u. 28: „Alles das, was er ist, lässt sich also durch den geheimnisvollen Titel ‚Menschensohn‘ bezeichnen.“

Einige Traditionalisten behaupten, dass die gelegentliche Praxis des Apostels Paulus, alttestamentliche Abschnitte über Jahwe auf Jesus zu beziehen, darauf hinweisen würde, dass er geglaubt habe, dass Jesus Jahwe ist. Die bekanntesten Beispiele sind die Zitate aus Joel 3, 5 und Jesaja 45, 23b, die Paulus in Röm 10, 13 bzw. in Röm 14, 11 und Phil 2, 10-11 (vergl. m. Psalm 145, 21) angeführt hat. In Röm 10, 13 zitiert Paulus den Propheten Joel: „Jeder, der den Namen des HERRN anruft, wird gerettet werden“ (Joel 3, 5). „HERR“ steht für „JAHWE“ und Paulus scheint dies auf Jesus zu beziehen. Wenn er das tut, meint er damit aber nicht, dass Jesus Jahwe ist, sondern dass das Anrufen Jesu dasselbe ist, wie das Anrufen Jahwes, der der GOTT und Vater Jesu ist, einfach weil der Zugang zum Vater durch Jesus, Seinen Mittelsmann, ermöglicht worden ist. Und wenn Paulus zweimal Jesaja 45, 23b auf Jesus bezieht, dann ist das „Knie vor ihm beugen und seinen Namen bekennen“, eine Anbetung, die an Jesus und den Vater gerichtet ist. Denn Jesus hatte gelehrt, dass jeder, der den Sohn aufnimmt, ehrt, sieht und ihm glaubt, dasselbe auch dem Vater gegenüber tut (Matth 10, 40; Joh 5, 23; 12, 44-45; 13, 20). Paulus zitiert Jahwe in Jes 40, 13, wenn er schreibt: „Denn ‚WER HAT DEN SINN DES HERRN ERKANNT; DASS ER IHN UNTERWEISEN KÖNNTE?‘ Wir aber haben Christi Sinn“ (1. Kor 2, 16; vergl. m. Röm 11, 34). Paulus meint damit nur, dass der auferstandene Christus und Jahwe gleich denken.

Einige von der Tradition geprägte Christen glauben auch, dass wegen der Übersetzungspraxis der Septuaginta, dem griechischen Alten Testament aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., in der man Jahwe mit kurios (Herr) übersetzt hat, die Titulierung „Herr“ im Neuen Testament eine indirekte Identifikation Jesu als Jahwe ist. Die Art und Weise, wie Menschen die Bibel übersetzen, beweist jedoch rein garnichts. Nebenbei bemerkt, hat man Ausgangs des 20. Jahrhunderts entdeckt, dass jüdische Handschriften der Septuaginta das Wort JHWH beibehalten haben, ohne es zu übersetzen, während die Handschriften, die das Wort mit kurios übersetzt haben, von christlichen Schreibern angefertigt worden sind.

Andere Traditionalisten zitieren auch noch einige andere alttestamentliche Stellen, die von Jahwe sprechen, die im Neuen Testament auf Jesus bezogen werden. Zum Beispiel sagt Jahwe zu den Juden: „Sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben“ (Sach 12, 10) 1, was in Joh 19, 37 (vergl. m. Off 1, 7) auf Jesus bezogen wird. Aber solche Texte weisen nur darauf hin, dass Jesus der Mittelsmann Jahwes ist.

Kurz gesagt, - Jesus hat sich nicht als Jahwe identifiziert; auch kein anderer in der Bibel hat das getan.

1) Anmerkung der Elberfelder Bibel: „Eine Reihe von hebr. Handschr. ändert in: und sie werden auf ihn blicken. - Dem Hebräer erschien es unmöglich, dass Jahwe durchbohrt werden könnte.“

Diese Übersetzungsvariante ist z.B. in Luther 1984 und Einh.Ü zu finden.