Kyrios Jesus - ein göttlicher Titel?
Kyrios ist ein griechisches Wort und bedeutet "Herr". Dieser Titel wird im Neuen Testament (NT) sehr oft Jesus Christus gegeben: "Herr Jesus Christus". Das findet sich in fast allen Briefanfängen und an vielen weiteren Stellen. Aber ist Kyrios ein göttlicher Titel? Als angeblichen Beweis für die Gottheit Jesu wird das oft so behauptet, doch schon in der Septuaginta (auch LXX genannt), der griechischen Übersetzung des hebräischen AT, wird Kyrios sowohl für Gott, den HERRN (JHWH bzw. Adonai) als auch für menschliche Herren (Adoni) verwendet. Mit Adonai wiederum ist im Hebräischen immer nur Gott (JHWH) gemeint, während Adoni sowohl für Gott als auch für Menschen verwendet wird (dazu gibt es u.a. einen ausführlichen Artikel von Anthony Buzzard). Im NT, dessen heutige Übersetzungen auf der griechischen Textgrundlage beruhen, wird Kyrios gleichermaßen für Gott, für Jesus Christus und für andere Menschen gebraucht, und das, ohne einen Unterschied in der Schreibweise zu machen. Nun wird oft behauptet, die Verwendung von Kyrios in Bezug auf den Herrn Jesus würde beweisen, dass er Gott sei. Dem ist aber nicht so, wie z.B. am Ende der Pfingstpredigt sehr deutlich zum Ausdruck kommt:
Apg 2,36 Das ganze Haus Israel wisse nun zuverlässig, dass Gott ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt.
Darüber hinaus gibt es viele weitere Stellen, die Antwort auf diese Frage geben. Ein paar davon seien hier genannt.
In dem "Gleichnis vom untreuen Verwalter" heißt es:
Und er rief jeden Einzelnen der Schuldner seines Herrn herbei und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? (Lk 16,5)
Philippus wird Kyrios genannt:
Diese nun kamen zu Philippus von Betsaida in Galiläa und baten ihn und sagten: Herr, wir möchten Jesus sehen (Joh 12,21)
Die Hohenpriester und Pharisäer nannten den Pilatus "Herr":
... versammelten sich die Hohenpriester und die Pharisäer bei Pilatus und sprachen: Herr, wir haben uns erinnert, dass jener Verführer sagte, als er noch lebte: Nach drei Tagen stehe ich wieder auf. (Mt 27,62b-63)
Maria nennt den vermeintlichen Gärtner "Herr":
Jesus spricht zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie, in der Meinung, es sei der Gärtner, spricht zu ihm: Herr, wenn du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast! Und ich werde ihn wegholen. Jesus spricht zu ihr: Maria! Sie wendet sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni! - das heißt Lehrer. (Joh 20,15-16)
ebenso sagt der Kerkermeister zu Paulus und Silas:
Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? (Apg 16,30)
weiter heißt es z.B.:
Ihr Herren, gewährt euren Sklaven, was recht und billig ist (Kol 4,1)
oder auch:
Über ihn (Paulus) habe ich dem Herrn (Augustus) nichts Gewisses zu schreiben (Apg 25,26)
auch einer der Ältesten in Off 7,14 wird von Johannes so angeredet:
Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es.
Petrus schreibt, dass Sarah ihren Mann Abraham Herr nannte (1.Pet 3,6).
An allen diesen Stellen steht Kyrios im griechischen Text - und niemand wird ernsthaft behaupten wollen, dass es sich hierbei um göttliche Titel und somit um göttliche Personen handelt. Somit dürfte klar sein, dass das Wort Kyrios nicht per se ein göttlicher Titel ist, gleichwohl aber auch treffend für Gott verwendet werden kann, da er der Herrscher ist, der Herr über alle diejenigen, die in irgend einer Weise herrschen. Sei es über Jesus Christus oder über Könige, Fürsten, Obrigkeiten, Präsidenten, Regierungsbeamte, Bürgermeister, Vorgesetzte, Familienoberhäupter usw. Jeder der hier Genannten hat einen Bereich, über den er herrscht, den er verwaltet oder zu versorgen hat. Aber alle haben wiederum einen Herrn über sich, jemanden, dem sie verantwortlich sind. Der Herr über alle Herren (auch über den Herrn Jesus) ist der alleinige Gott, der Vater.
Einmal angenommen, Kyrios (Herr) wäre - entsprechend den trinitarischen Behauptungen - ein Synonym für Gott. Dann könnte man wahlweise eines dieser beiden Worte - Gott oder Herr - einsetzen, ohne dass der Sinn verfälscht werden würde. Somit wären die folgenden Verse sinngemäß richtig wiedergegeben, würden aber großen Unsinn ausdrücken:
Röm 15,6 ... damit ihr einmütig mit einem Munde den Gott und Vater unseres Gottes Jesus Christus verherrlicht.
1.Kor 6,14 Gott aber hat Gott auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Macht.
1.Kor 11,26-27 Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod Gottes, bis er kommt. Wer also unwürdig das Brot isst oder den Kelch Gottes trinkt, wird des Leibes und Blutes Gottes schuldig sein.
Eph 1,2 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Gott Jesus Christus!
1.Pet 1,3 Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Gottes Jesus Christus
Ich denke, das genügt, um die Folgen aufzuzeigen bzw. zu verdeutlichen, dass man den Unterschied wirklich beachten sollte, den es offensichtlich zwischen "Gott" und "Herr" gibt. Beim Bibellesen kann jeder selbst einmal in Gedanken überall da "Gott" einsetzen wo "Herr" steht. Oft geht das tatsächlich problemlos, oftmals aber kommt Unsinn und Widersprüchliches dabei heraus, wie an den vorgenannten Beispielen deutlich gezeigt wurde.
Natürlich wird Kyrios im NT am häufigsten auf den Herrn Jesus angewandt, denn um ihn geht es ja hauptsächlich, außerdem ist das der Haupttitel bzw. der übergeordnete Rang, den Gott dem Herrn Jesus verliehen hat:
Phil 2,9-11 Darum - (weil Jesus Christus ihm gehorsam war bis zum Tod am Kreuz - Darum) hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Martha und Maria nannten Jesus Christus Herr (Kyrios). Und das war offensichtlich nicht als göttlicher Titel gemeint, wie aus dem Zusammenhang in Joh 11 hervorgeht (ich zitiere nur teilweise).
21 Da sprach Martha zu Jesus: Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben; 22 und jetzt weiß ich, dass, was du von Gott bitten magst, Gott dir geben wird.
27 Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.
32 Als nun Maria dahin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sprach zu ihm: Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben.
34 Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sagen zu ihm: Herr, komm und sieh!
39 Jesus spricht: Nehmt den Stein weg! Die Schwester des Verstorbenen, Martha, spricht zu ihm: Herr, er riecht schon, denn er ist vier Tage hier.
41 Sie nahmen nun den Stein weg. Jesus aber hob die Augen empor und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. 42 Ich aber wusste, dass du mich allezeit erhörst; doch um der Volksmenge willen, die umhersteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.
Ganz ähnlich ist von Petrus zu lesen. Seine Worte und jene Begebenheit, als viele der Jünger sich von Jesus abwandten, sind weithin bekannt.
Joh 6,68-69 Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist.
Dass Jesus Christus Herr genannt wird, dient viel eher dazu, ihn von Gott zu unterscheiden, als ihn mit Gott gleichzusetzen. Eine sehr ausführliche Sammlung und Betrachtung aller gemeinsamen Vorkommen von "Gott" und "Herr" findet sich in dem Buch von Joel Hemphill: Gott und Jesus. Darin sind sie in der Reihenfolge der neutestamentlichen Bücher aufgelistet und durch wertvolle Kommentare ergänzt.
Hier eine kleine Auswahl von solchen Schriftstellen:
Röm 1,7 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
1.Kor 1,3 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
2.Kor 1,2 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
Gal 1,3 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
Eph 1,2 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
Phil 1,2 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
Kol 1,3 Wir danken Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, allezeit, wenn wir für euch beten
Kol 3,17 ... alles tut im Namen des Herrn Jesus, und sagt Gott, dem Vater, Dank durch ihn!
1.Thess 1,1 ... in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus: Gnade euch und Friede!
2.Thess 1,2 Gnade euch und Friede von Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
1.Tim 1,2 ... Friede von Gott, dem Vater, und von Christus Jesus, unserem Herrn!
2.Tim 2,1 ... Friede von Gott, dem Vater, und von Christus Jesus, unserem Herrn!
Phlm 3 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
1.Petr 1,3 Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus.
2.Pet 1,2 Gnade und Friede werde euch immer reichlicher zuteil in der Erkenntnis Gottes und Jesu, unseres Herrn!
Einen besonderen Vers möchte ich hier noch anführen. Besonders ist er deshalb, weil er zum einen so oft wie kein anderer Vers des AT im Neuen Testament zitiert oder Bezug auf ihn genommen wird. Zum anderen, weil darin sowohl Gott als auch der Herr Jesus "Herr" genannt werden. Es ist Mt 22,44, wo der Herr Jesus selbst Ps 110,1 zitiert. Dieser lautete ursprünglich:
Ein Psalm von David: JHWH sprach zu meinen Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde gemacht habe zum Schemel deiner Füße.
Im Laufe der Zeit wurde der Name Gottes (JHWH) durch Umschreibungen ersetzt aus Furcht davor, ihn zu missbrauchen, wovor z.B. im dritten der Zehn Gebote gewarnt wird. Im Hebräischen wurde Adonai (später auch "HaSchem" = "der Name") anstelle des Namens Gottes, JHWH, eingesetzt, was in vielen deutschen Übersetzungen mit HERR (Großbuchstaben) wiedergegeben und ausschließlich für Gott verwendet wird. Daneben gibt es das ähnlich geschriebene Wort Adoni, welches in den Übersetzungen als Herr erscheint und sowohl für Gott als auch für Menschen verwendet werden kann. Im Griechischen wird im AT und im NT durchweg Kyrios geschrieben. So veränderte sich der oben genannte Vers zwar nicht inhaltlich, aber in der Schreibweise ungefähr folgendermaßen (ich zitiere nur den ersten Teil):
- JHWH sprach zu meinem Adoni…
- Adonai sprach zu meinem Adoni… (natürlich alles hebräisch)
- Der HERR (Kyrios) sprach zu meinem Herrn (Kyrios) (griechisch)
- Der Herr sprach zu meinem Herrn…
Diese letzte Version (und ohne Hervorhebung des Wortes "Herr") ist das, was uns im gesamten NT begegnet.
Mt 22,44 Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege unter deine Füße
Daran wird ersichtlich, dass eine Unterscheidung der beiden hier genannten "Herren" im NT kaum noch möglich ist, es sei denn, man kennt diese Entwicklung des hebräischen Sprachgebrauchs und deren Übersetzungen, und auch das Original aus Psalm 110,1. Dann allerdings passt das konfliktfrei zu den Versen im Neuen Testament, die davon reden, dass Gott seinem geliebten Sohn Jesus Christus alles unter die Füße legt und dieser nun zur Rechten Gottes sitzt. Dabei bleibt er aber weiterhin seinem Gott und Vater untergeordnet. Somit wird auch schlüssig, dass geschrieben steht, woher der Herr Jesus das "Herr-sein" und das "Christus-sein" hatte, denn er hatte es keineswegs schon immer oder aus sich selbst:
Apg 2,36 Das ganze Haus Israel wisse nun zuverlässig, dass Gott ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt.
Zum Schluss sei noch Paulus erwähnt, der die Korinther anklagt, weil manche von ihnen in Unwissenheit über Gott sind (1.Kor 15,34). In Kapitel 11 im selben Brief betont er, was alle wissen sollen.
1.Kor 11,3 Ich will aber, dass ihr wisst, dass der Christus das Haupt eines jeden Mannes ist, das Haupt der Frau aber der Mann, des Christus Haupt aber Gott.
Hier ist von eindeutigen Hierarchien die Rede. Und es steht dabei geschrieben: Ich will, dass ihr das wisst. Nicht eine vage Vermutung oder eine geheimnisvolle Beziehung wird hier schemenhaft angedeutet. Nein, eindeutiges Wissen ist hier gefordert und ausgesagt: Gott ist das Haupt des Christus! Ich will, dass ihr das wisst! Es sind nicht Worte speziell für Gelehrte, sondern sie sind im Grunde für jedermann verständlich.
Jesus Christus ist der Herr, weil Gott ihn dazu gemacht hat.